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Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
II. Bevölkerung
II.I Die zahlenmäßige Erfassung der Bevölkerung Pekings
II.II Probleme und Phänomene der Pekinger Bevölkerung
II.III Ausländer in Peking
III. Gesundheit
III.I Klimatische und statistische Eckdaten
III.II Das Wasserversorgungssystem – Vom Brunnen- zum Leitungswasser
III.III Das Abwasserentsorgungssystem und die Straßenreinigung
III.IV Die Krankheitsprophylaxe und die Krankenhäuser der Stadt
IV. Bildung
IV.I Peking als Bildungs- und politisches Zentrum
IV.II Das Schulsystem und seine Kontrolle und Verwaltung
IV.III Bildung auch für Ältere – Das Massenbildungssystem
und seine Ziele
V. Wirtschaftsleben
V.I Die Gilden – Der bestimmende Faktor der Wirtschaft Pekings
V.II Das industrielle Wachstum
V.III Die wirtschaftliche Grundlage Pekings: Das kleine Geschäft
V.IV Die Arbeitszeit und Feiertage
V.V Die wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtigen Märkte
V.VI Steuern
VI. Polizei
VI.I Kosten und Personal
VI.II Kriminalität
VI.III Andere Aufgaben der Polizei
VI.IV Gefängnisse
VII. Regierung und Militär
VIII. Erholung
VIII.I Theater – die beliebteste Erholungsmöglichkeit
VIII.II Geschichtenerzähler
VIII.III Pferderennen
VIII.IV Badehäuser und Kinos
VIII.V Plätze und Parks
IX. Religionsarbeit
X. Das soziale Übel – Armut und Menschenliebe
X.I Die Probleme der Einschätzung der sozialen Situation
X.II Prostitution
X.III Armut
I. Einführung
„Am Anfang war hier Wasser oder, genauer gesagt,
eine Meeresbucht, die im Westen vom bereits existierenden Taihang-Gebirge
und im Norden vom Yan-Gebirge begrenzt wurde. Geologische Entwicklung
kümmert sich nicht um Meeresbucht-Romantik, und so spülten im
Lauf der Jahrtausende große Erdmassen [...] ins Meer und schufen
die ‚Kleine Peking-Ebene‘, ein immer noch [...] bevorzugtes
Gebiet, hielten doch die beiden Gebirgszüge allzu kalte Luft aus
dem Norden ab und schützten die Ebene vor der Feuchtigkeit, die von
der nun 140 km entfernten Bohai-Bucht hereinströmte. Dank dieser
günstigen Voraussetzungen wurde die Region überaus fruchtbar
und zog schon früh die ersten Menschen an.“
Die praktisch ersten Atemzüge eines Platzes, der
später einmal zur „Hauptstadt des Nordens“ werden sollte,
beschreibt in anschaulichster Weise Oliver Fülling in seinem Buch
„China“. Die geschichtliche Epoche der Stadt begann so um
1180, als die erste Siedlung an der Stelle entstand, wo heute Peking liegt.
„Wo heute Peking liegt“ ist bei einer Stadt mit Millionen
von Einwohnern leicht gesagt, doch diese Ausführungen beschäftigen
sich nicht mit „diesem“ Peking. Es geht um die Zeit, als die
Hauptstadt Chinas noch nicht einmal 1 Million Einwohner hatte. Es geht
um einen winzigen Bruchteil der Zeit der tausendjährigen Hauptstadt:
Die frühen Jahre der Republik, als 1912 ein Wandel im Leben der Stadtbewohner
Pekings und vieler Chinesen in anderen Städten einsetzte.
Zuerst eine kurze zeitliche Einordnung:
Der Aufstand der Boxer hatte sich in China 1900 vor allem gegen Ausländer
und das Christentum gerichtet. Die Krise fand ihren Höhepunkt am
18. Juni 1900 während eines fremdenfeindlichen Aufstands in Peking.
Nachdem die westlichen Mächte interveniert und dem Boxeraufstand
in Peking ein militärisches Ende gesetzt hatten, erkannte die Mandschu-Regierung
(zu spät) die Sinnlosigkeit ihrer reaktionären Politik. Kurz
nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg rief der im Westen aufgewachsene
Sun Yatsen eine revolutionäre Bewegung ins Leben, welche die Errichtung
einer republikanischen Regierung zum Ziel hatte. 1911 erhoben sich die
Aufständischen und im Oktober dieses Jahres brach die Rebellion in
Hankou (Zentralchina) aus. Als die Unruhen auch in anderen Provinzen aufkamen,
übernahm die revolutionäre Gesellschaft unter dem Vorsitz von
Sun die Kontrolle. Am 12. Februar 1912 trat Sun Yatsen von seinem Amt
zugunsten Yuan Shikais, dem mächtigen General der Mandschu-Armee
zurück. Am 14. Februar 1912 wählte eine revolutionäre Versammlung
in Nanking Yuan zum ersten Präsidenten der Republik China.
Die Republik bestand zwischen 1912 und 1949. Obwohl 1912 eine Verfassung
angenommen wurde und ein Parlament zusammentrat, gestattete Yuan Shikai
diesen Institutionen nie, seine persönliche Kontrolle über die
Regierung zu beschränken. Er führte die Regierungsgeschäfte
mit Hilfe seiner persönlichen Verbindungen zu den militärischen
Führern in den Provinzen. Sun Yatsen floh nach Japan. Yuan war jedoch
durch einen Volksaufstand dazu gezwungen, seine Pläne für die
Wiederherstellung des Reiches aufzugeben und ernannte sich selbst zum
Kaiser. Er starb im Jahr 1916, und die politische Macht ging für
mehr als ein Jahrzehnt in die Hände der Provinzgeneräle über.
In Peking lebten 1917, nach einer polizeilichen Zählung,
811.556 Einwohner, von denen 63,5 Prozent männlich waren. Diese Männer
kamen zum Großteil aus dem Umland in die Hauptstadt, um Bildung
und Berufserfahrung zu erhalten und vielleicht einen der wenigen Beamtenplätze
zu bekommen.
Die durchschnittliche Einwohnerdichte Pekings lag 1917 zwischen 12.983
und 32.364 Einwohnern je Quadratkilometer. Insgesamt lebten 1524 Ausländer
in Peking, der größte Teil davon Japaner (595).
In Peking herrschte in den frühen Jahren der Republik
eine ernste soziale Not und Armut. Es gab zu wenige einfache Erholungsmöglichkeiten.
Viele Chinesen, Ausländer, Sozialarbeiter, Missionare und Beamte
hatten die Möglichkeit, mit Hilfe eines Sozialprogrammes zu helfen.
Aber zu der Zeit tat es keiner wirklich. Bevor nämlich die Probleme
angepackt werden konnten, mußten erst einmal zwei wichtige Grundsteine
gesetzt werden. Zum ersten mußte eine wissenschaftliche Studie her,
die Auskunft über Art und Umfang der Nöte gab. Zum zweiten mußten
Sozialprogramme erarbeitet und geschaffen werden, die auf der Grundlage
dieser Studien die konkreten Mängel beseitigen konnten. Dem ersten
Punkt, der Ausarbeitung einer Übersicht über die sozialen Probleme,
widmeten sich Sidney D. Gamble und John Steward Burges in dem Buch „Peking:
A social survey“ von 1921. Diesem Buch entstammen viele Informationen
dieser Arbeit.
II. Bevölkerung
II.I Die zahlenmäßige
Erfassung der Bevölkerung Pekings
Eine Übersicht der Bevölkerung Chinas war in
der Vergangenheit bisher unmöglich gewesen. Versuche beschränkten
sich darauf, die Zahl der Menschen zu schätzen oder maximal, ihre
Familien zu zählen. Die Menschen in China sahen seit jeher ungern
ihre Namen auf Papier. so war es gang und gäbe, die Beamten zu täuschen.
Für solcherlei Falschaussagen waren in Peking hohe Strafen ausgesetzt.
Diese lagen zwischen $1 und $5. Da die Polizei in engem Kontakt mit der
Bevölkerung Pekings stand und nach Jahren der Bevölkerungserfassung
bei den Menschen Vorurteile abgebaut hatte, zeichnete die Bevölkerungsstatistik
Pekings ein hoher Wahrheitsgehalt aus.
Während nach Polizeiangaben 1913 noch 727.863 Menschen in Peking
lebten, waren es 1918 schon 923.557, von denen 68,2 Prozent männlich
waren. Auf ein Haus kamen demzufolge fünf Menschen. Die Menschen
lebten dort, wo sie auch arbeiteten – in ihren meist einstöckigen
Häusern. Die urstämmige und religiöse Einteilung der Einwohner
Pekings ergab, daß es sich zu 70–75 Prozent um Chinesen handelte,
zu 20–25 Prozent um Mandchus, zu 3 Prozent um Mohammedaner und zu
1–2 Prozent um Mongolen.
II.II Probleme und Phänomene
der Pekinger Bevölkerung
Ein großes Problem stellten die Soldaten um Peking
herum dar. Sie hatten vor den Zeiten der Republik in der Armee gedient
und waren gut bezahlt worden. Inzwischen entlassen, hatten sie weder Land
noch irgendwelche erlernten handwerklichen Fähigkeiten. Sie mußten
sich mit einfachen Tätigkeiten über Wasser halten. Manche wurden
Nachtwächter, die meisten aber waren von der sicheren jahrelangen
staatlichen Rente verwöhnt und kannten richtige Arbeit nicht. Sie
stiegen (sozial gesehen) ab und bildeten einen ernstzunehmenden sozialen
Schwachpunkt im Stadtleben.
Ein weiteres für Peking charakteristisches Phänomen war der
hohe Männeranteil in der Stadtbevölkerung. Die Entwicklung des
Überhangs der Männer wurde durch die jährlich steigenden
Studentenzahlen gesteigert, denn Studenten waren die letzten, die sich
eine Familie in Peking leisten konnten. Statistisch kamen auf 100 Frauen
174 Männer. Diese arbeiteten oft in der Industrie, in der Frauen
verboten waren. Dort wohnten auch die Arbeiter. Sie kamen äußerst
selten nach Hause und sahen ihre Kinder fast nie. In einer statistischen
Erhebung der Polizei fand diese heraus, daß die durchschnittliche
Abwesenheitsdauer der Arbeiter von der daheimgebliebenen Familie 18 Monate
betrug. Die Proportionen zwischen der Anzahl der Männer und der Frauen
glichen sich bei einem Alter ab ungefähr 35 wieder an. Darin zeigte
sich, daß die erfolgreichen Männer ihre Frauen mit in die Stadt
holten und daß eventuell die Eltern der Männer, bei denen die
Frauen und Kinder zuvor untergebracht waren, starben und so der Mann zum
Familienoberhaupt wurde. [Die Rangfolge in der Familie war sehr streng.
Das Oberhaupt war der Großvater. Er stand noch über seinem
Sohn auch wenn dieser schon verheiratet war und eine eigene Familie besaß.]
Statistisch wurde auch festgestellt, daß die Lebenserwartung der
Männer in Familien lebend, höher war als der Männer, die
ohne ihre Familie lebten. Das durchschnittliche Heiratsalter in Peking
lag bei den Männern bei 18 Jahren. Zu dem Zeitpunkt hatte man bereits
einen Beruf erlernt und so wurde eine Braut gesucht. Die Eltern halfen
dann bei den Hochzeitsvorbereitungen und unterstützten die Hochzeit
finanziell. Im Gegenzug konnten sie sich der Hilfe der Schwiegertochter
in ihrem Haushalt sicher sein.
Daß man zum Arbeiten und Geldverdienen nach Peking kam, spielte
der Altersspiegel wider. Im Vergleich mit anderen westlichen Großstädten
gab es in Peking weit weniger unter 15jährige, dafür aber weitaus
mehr im Alter zwischen 25 und 40 Jahren.
II.III Ausländer
in Peking
Aufgrund der langen Verschlossenheit Pekings gab es nur
sehr wenige Ausländer. Peking war für Außenhandel nie
offen gewesen. Lediglich ausländische Vertretungen und Repräsentanten
waren seit den 1860er Jahren zugelassen. 1917 lebten in Peking 1.524 Ausländer.
Sie durften kein Land besitzen, sondern nur gemietete Häuser und
Flächen bewohnen. Diplomaten und Missionare waren von dieser Regelung
ausgeschlossen. Die meisten Ausländer betätigten sich im Handel.
Dann folgten die Berufe Priester, Konsul und Mechaniker. [Im Handel waren
302 Ausländer tätig (19,8 %). 102 Priester (6,7 %), 95 Konsuls
(6,2 %) und 92 Mechaniker (6 %) befanden sich unter den 1524 Ausländern.
Die Statistik sprach auch von Lehrern, Studenten, Doktoren und sogar ausländischen
Prostituierten.]
III. Gesundheit
III.I Klimatische und
statistische Eckdaten
Im Ganzen war die Gesundheit der Einwohner Pekings 1917
sehr gut. Dieser Tatsache lag zum nicht geringen Teil auch das natürlich
gesunde Klima der Umgebung Pekings zugrunde. Abgesehen von den in Peking
von Zeit zu Zeit auftretenden Sandstürmen und den zwei Frostmonaten
im Winter schien fast jeden Tag die Sonne und es gab kaum Niederschlag.
Natürlich war die Stadt Peking auch aktiv an der Gesunderhaltung
seiner Einwohner beteiligt. Es gab 46 Krankenhäuser und insgesamt
1098 Ärzte. 109 von ihnen waren in westlicher Medizin ausgebildet.
Die Geburtenrate lag bei 11,8 pro tausend Menschen oder 32,6 pro tausend
Frauen. Inoffiziell lag die Rate jedoch höher. Sie wurde so zwischen
18-20 Geburten pro tausend Einwohner bzw. 55-60 Geburten pro tausend Frauen
eingestuft. Diese Zahl lag deshalb höher, weil viele Chinesen sich
nicht gerne zählen ließen und deshalb viele Geburten nicht
angaben bei der Polizei. [Chinesen befürchteten bei Zählungen,
die in Bücher eingetragen wurden, oft, daß dies Unglück
brächte. Grund hierfür war die Ansicht, durch die Bücher
werde Druck auf die Namen der Familien ausgeübt.]
Die Todesrate lag bei 25,8 pro 1.000 Männer und 33,2 pro 1.000 Frauen.
III.II Das Wasserversorgungssystem
– Vom Brunnen- zum Leitungswasser
Peking besaß seit 1910 ein modernes Wassersystem.
Aber das Wasser aus diesem System war für die meisten Familien zu
teuer. Es bot sich als eine Alternative, das Wasser aus den innerstädtischen
Brunnen zu nehmen. Doch diese waren nicht sehr sauber und so hatten viele
Familien in Peking schlechtes Wasser. Erst mit modernen westlichen Bohrmethoden
führten die Brunnen durch tiefere Bohrungen wieder sauberes Wasser.
Man konnte sauberes Wasser auch bei einem der 2.500 Wasserträger
in der Stadt kaufen. Diese boten, durch die Straßen ziehend, Wasser
aus großen Holztanks heraus an. Für einen monatlichen Festbetrag
konnten sich Familien auch einen Wasserträger verpflichten. Er sorgte
dann täglich dafür, daß immer genügend Wasser im
Hause war.
Doch es gab auch noch eine weitere Möglichkeit. Man konnte sich an
das vorher schon erwähnte städtische Wassernetz anschließen
lassen. Von 1908 bis 1910 war für 3 Millionen Dollar ein Wassersystem
entstanden, das für 3.400 Familien eine direkte Wasseranbindung ermöglicht
hatte. Das Wasser war aus dem Sun He, einem Fluß am Rande von Peking,
über drei Reservoirs in die Stadt geleitet worden und in einem Wasserturm
gepumpt worden. Von dort aus funktionierte das System für die ganze
Stadt Peking, das heißt, für jeden, der sich das leisten konnte.
Dank dieses Systems konnten auch 420 Hydranten in der Stadt installiert
werden, von denen man sich gegen Gebühr Wasser holen konnte und die
im Notfall als Feuerlöschwasserspender fungierten. [Der Bau des modernen
Wassersystems, das Peking mit Frischwasser abdeckte, war unter der Aufsicht
deutscher Ingenieure erfolgt.]
III.III Das Abwasserentsorgungssystem
und die Straßenreinigung
Das Abwassersystem deckte die gesamte Stadt ab. Die Herstellung
von Dünger aus den Abwässern sicherte den Menschen in Peking
5.000 Arbeitsplätze. Die Abwässer wurden in großen Reservoirs
gesammelt, nachts abtransportiert und auf die Trockenfelder gebracht.
[Die Polizei hatte ab 1906 die Trockenfelder wegen des ständig über
der Stadt liegenden Geruchs nach außerhalb der Stadt verlegen lassen.]
Hierfür zeigte sich das Amt für Gesundheit verantwortlich. Es
unterstand der Polizei, die für die öffentliche Gesundheitsarbeit
sorgte und teilte sich in drei Departements auf. Die Straßensäuberung,
die Betreuung der öffentlichen Toiletten und der Abtransport der
Nachtabwässer gehörten zum Aufgabenbereich des Ersten Departements.
1917 gab es in Peking 528 öffentliche Toiletten. Manche von ihnen
befanden sich in richtigen Häusern, andere wiederum nur hinter flachen
Mauern. Die Toiletten brachten der Stadt $700 Miete pro Monat. Und das
funktionierte so: Sogenannte „Sammler der Nacht“ kümmerten
sich um die Etablissements. Die Aufgabe dieser Verantwortlichen bestand
darin, die Toiletten sauber zu halten und nächtlich zu leeren. Aus
den Abfällen wurde Dünger hergestellt. Da die Nachfrage nach
Dünger so groß war, wurde peinlichst genau darauf geachtet,
daß kein Fremder die Toiletten leerte. Denn mit dem Dung, den man
durch Trocknen erhielt, ließ sich viel Geld verdienen. Das erklärt
auch, warum man für diese Arbeit überhaupt Mietkosten zahlen
mußte.
Die Straßensäuberung wurde von 1.518 Männern durchgeführt,
die leicht an ihren blauen Uniformen zu erkennen waren. Sie reparierten
auch die Straßen und sorgten für Schneefreiheit im Winter in
ganz Peking innerhalb von 24 Stunden. Sie waren es auch, die die Straßen
täglich mit Wasser gegen den Staub besprengten. Außerdem sorgten
sie für die nächtliche Beleuchtung der Straßen. [In den
Hauptstraßen und großen Nebenstraßen gab es 1919 bereits
elektrische Beleuchtung. In kleineren Nebenstraßen unterhielt man
Kerosinlampen, die von besagten Männern Nacht für Nacht angezündet
wurden. Dafür erhielten sie von den Anwohnern dieser Straßen
eine monatliche Summe. Die Stadt kümmerte sich dort nicht um Licht.]
III.IV Die Krankheitsprophylaxe
und die Krankenhäuser der Stadt
Das Zweite Departement war verantwortlich für die
städtische Gesundheit und die Vorbeugung von Krankheiten. Es inspizierte
die auf den Märkten verkauften Essenswaren, die Nahrungsmittelgeschäfte
und die Bordelle.
Das Dritte Departement hatte die Aufsicht über die 46 Krankenhäuser
der Stadt. Von ihnen waren unter anderem 6 staatlich geführt, 17
wurden von privaten Chinesen und 16 von privaten Ausländern (darunter
einem Deutschen) unterhalten. Außerdem wurden vom Dritten Departement
die Ärzte lizenziert.
Das laut Gamble beste staatliche Krankenhaus war das 1918 gebaute Zentralhospital.
Das beste Krankenhaus Pekings überhaupt war das des China–Medical
Board of the Rockefeller Foundation. [Es war ein privat geführtes
Krankenhaus, die Investitionssumme betrug damals unvorstellbare $7 Mio.]
Es besaß 250 Betten und bot 100 Studenten ein Studium in medizinischen
Fachbereichen. Die Mitarbeiter wohnten direkt auf dem Gelände. Es
war in chinesischer Architektur erbaut und hochmodern. Es besaß
hochgezogene grüne Dächer und wurde im Volksmund deshalb „Grüner
Stadtteil“ genannt. Die große Anzahl Studenten erklärte
sich dadurch, daß das Krankenhaus zu einem medizinischen Zentrum
werden sollte. Die Ausbildung fand auf Englisch statt, denn chinesische
Lehrbücher und Lehrmittel gab es kaum. Auch gab es bei den Studenten
aus allen Regionen wegen der verschiedenen Dialekte Schwierigkeiten mit
dem Verständnis. Zum Studium waren auch Frauen zugelassen.
Als Ergebnis der steigenden Studentenzahlen standen auch immer mehr Ärzte
zur Verfügung, die schon bald in den Schulen Grundsätzliches
zu Hygiene und Gesundheit lehrten.
IV. Bildung
IV.I Peking als Bildungs-
und politisches Zentrum
Peking, die tausendjährige Hauptstadt Chinas hatte
sich im Laufe der Zeit zu einem politischen und einem Bildungszentrum
entwickelt. Die drei großen bekanntesten Schulen in Peking waren
die Staatliche Universität, die Nationale Lehrerschule und die Schule
der Höheren Technik. Insgesamt lernten an den Pekinger Hochschulen
16.879 Studenten, mehr als doppelt so viele wie in anderen Städten
des Landes. Die Studenten kamen aus allen Teilen Chinas, um an den guten
Bildungsmöglichkeiten in Peking teilzuhaben. Unter Einbeziehung der
Tatsachen, daß die moderne Bildung in China nicht vor 1905 begonnen
hatte, zeigte sich erst die großartige Entwicklung des Bildungssystems,
das innerhalb so kurzer Zeit über einer Million Studenten den Bildungszugang
ermöglicht hatte. Der Bildungsfortschritt erreichte allerdings nur
die männliche Bevölkerung in vollem Maße: 55.000 Jungen
und Männer in den Schulen Pekings standen den 7.000 Frauen gegenüber.
IV.II Das Schulsystem
und seine Kontrolle und Verwaltung
Die Erfassung der Schulen in Peking erachtete sich aufgrund
der Komplexität des Systems als sehr schwierig. Es gab die Schulen
des Nationalen Amtes für Bildung, die Schulen anderer staatlicher
Ämter, die Schulen der lokalen Bildungsbehörde, die teilweise
von der lokalen Bildungsbehörde mitfinanzierten Privatschulen, die
unabhängigen Privatschulen, die Polizeischulen und die Missionsschulen.
1919 fand man in Peking 324 staatliche und private Schulen, davon 28 Universitäten,
18 Mittelschulen, 38 Mädchenschulen und 7 Spezialschulen. Zusätzlich
gab es 91 Primarschulen in der Umgebung Pekings und 110 Missionsschulen.
Die Schulen unterlagen der Kontrolle der staatlichen oder lokalen Schulbehörden.
Außerdem stützten 12 weitere staatliche Behörden die Schulen.
Es gab teilweise vom Staat unterstützte und auch ganz unabhängige
Privatschulen. Die römisch-katholischen, griechisch-katholischen
und protestantischen Missionen unterhielten ihre eigenen Bildungseinrichtungen,
vom Kindergarten bis hin zur Universität.
Alte klassische Traditionen hatten immer noch und weiterhin starken Einfluß
auf die Bildung.
Die berufliche und technische Bildung steckten um 1917 noch in den Kinderschuhen.
Zwar boten einige Schulen schon ein duales System, das heißt die
Verbindung von Theorie und Praxis an, aber es waren erst die kleinsten
Anfänge.
Für 4000 Schüler gab es Halbtagsschulen. Sie waren deshalb sehr
wichtig, weil viele Kinder schon in den Geschäften oder Werkstätten
der Eltern mitarbeiten mußten. So wurde auch ihnen ein Bildungszugang
ermöglicht.
1915/16 betrugen die Ausgaben für den gesamten Bildungsapparat 1.894.433
Dollar, davon vier Fünftel in der höheren Bildung.
Lehrer in den einfacheren Primarschulen erhielten 24 Dollar pro Monat,
Direktoren 36 Dollar. In den höheren Primarschulen wurden 32 Dollar
für Lehrer und 40 Dollar für Direktoren bezahlt.
IV.III Bildung auch für
Ältere – Das Massenbildungssystem und seine Ziele
Das System der Massenbildung war exzellent geplant. Es
existierten öffentlich zugängliche Lesehallen, Bibliotheken
und Zeitungslesehallen, teilweise sogar mit Vorlesern.
Das Bildungsziel aller dieser Einrichtungen war an erster Stelle die Schaffung
einer ethischen Grundeinstellung. Weitere wichtige Ziele waren die moralische
und körperliche Entwicklung, die lebensnahe Wissensvermittlung, die
Vermittlung von Patriotismus und Gemeinschaftssinn und den Kindern Wissen
und Schulung in dem Maße zukommen zu lassen, daß sie später
ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen konnten.
Für die Älteren, die in ihren jungen Jahren nicht unbedingt
in den Genuß einer Schulbildung gekommen waren, gab es die Lesehallen.
Neue Ideen an die Bevölkerung weiterzugeben war schon immer ein Problem
in China gewesen, da die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten.
So wurden schon seit langem Vorleser zur Informationsverbreitung in China
eingesetzt. Das waren Menschen, die lesen und schreiben konnten und, vom
Staat beauftragt, den leseunkundigen Menschen die Möglichkeit gaben,
sich Zeitungen und Bücher anzuhören. Kurz nach der Bildungsrevolution
1902 wurden der Öffentlichkeit viele private Lesehallen zugänglich
gemacht. 1919 existierten 13 öffentliche Lesehallen in Peking, mit
denen der Staat ein Ziel verfolgte: „Menschen bilden – Gesellschaft
reformieren.“ Die tägliche Zuhörerschaft in den 13 kleinen
Lesehallen betrug so um die 1000 Menschen pro Tag. Die Themen der Lesungen
variierten zwischen der richtigen Zucht von Hühnern, wie man Kinder
großzieht oder auch dem Vergleich zwischen Wilhelm II und Napoleon.
Die Vorleser bekamen $10 pro Monat, erfahrene reisende Vorleser sogar
$2 pro Vorlesung.
V. Wirtschaftsleben
V.I Die Gilden –
Der bestimmende Faktor der Wirtschaft Pekings
Handwerks- und Arbeitergilden bildeten in den ersten
Republikjahren immer noch die Grundlage jeglicher wirtschaftlicher Bewegungen
in Peking. In sie waren Arbeitnehmer wie Arbeitgeber eines Wirtschaftszweiges
eingebunden. Es herrschten strenge Zugehörigkeitsregeln und eine
enge, bindende Mitgliedschaft. Die Chinesen meinten, Wettbewerb passe
einfach nicht zu ihrem Lebensstil. Da in ihrem Land immer schon viele
Menschen an der Armutsgrenze gelebt hatten, konnte man sich Wettbewerb
nie erlauben, denn einer blieb dabei immer auf der Strecke, und der Verlust
des Arbeitsplatzes brachte einen Chinesen in enorme Schwierigkeiten, nicht
nur finanziell. Besser war es doch da, sich mit anderen zusammen vor sich
selbst zu schützen, das hieß, alle Arbeiter/Handwerker des
selben Business mit einzubinden in ein enges System. Dieses engere System
waren die Gilden. Mit ihnen schützte man sich auch nach außen,
zum Beispiel vor dem Staat, der einer ganzen Gilde viel schwerer Steuern
auferlegen konnte als Einzelpersonen. [Die Gilden hatten sich seit langem
als wichtiges Bindeglied zwischen Staat (Beamten) und den Handwerkern
und Arbeitern erwiesen. So sprachen die gewählten Gildenräte
für alle Gildenmitglieder, so daß Beamte sich nur an sie richten
brauchten, wollten sie Änderungen durchführen. Oft sahen die
Gilden Steuererhöhungen auch ein, und Kooperationen entstanden in
Städten. Da die höchste Aufgabe des Beamten war, die Ruhe im
Stadtbezirk zu erhalten, war ein gutes Verhältnis mit den Gilden
unabdingbar und man kam sich sozusagen entgegen. ]
Aber der Fortschritt wurde durch die Gildenwirtschaft gelähmt. Preise
und Gewichte wurden von ihr festgelegt und ihre Macht war so hoch, daß
sich Einzelindividuen sich ihr immer unterordnen mußten. So besaßen
Gilden eigene Gesetze, durchgesetzt mit Hilfe der Gildengerichte, die
innere Angelegenheiten selbst beilegten. Das erstaunliche an den Gilden
allerdings war, daß sie schon demokratisch aufgebaut waren.
Bei Streitereien zwischen Gilden oder Gildenmitgliedern entschied das
Wirtschaftskammergericht. Seiner Entscheidung mußten immer beide
Parteien zustimmen oder ein richtiges Gericht mußte den Fall begutachtet
und die Entscheidung bestätigt haben. Ab 1900 übernahmen die
Wirtschaftskammern in einigen Städten immer mehr Funktionen. So verloren
die Gilden langsam immer mehr Machtbereiche, die von Beamten und der Polizei
übernommen und kontrolliert wurden.
V.II Das industrielle
Wachstum
Moderne Industrie mit großen Fabriken konnte sich
in Peking kaum ansiedeln. Die lokale „octroi-Steuer“, einer
Sonderabgabe von Betrieben ab einer bestimmten Größe, verhinderte
die Ansiedlung. So wurde Peking trotz eines modernen Bankensystems keine
starke Wirtschaftsstadt. Dennoch war Peking einer baldigen industriellen
Revolution ausgesetzt.
Das industrielle Wachstum in China und der Mandschurei betrug zwischen
1912 und 1949 im Durchschnitt 5,6 Prozent pro Jahr. In den Jahren 1912
bis 1920 lag, da in Europa der Erste Weltkrieg wütete und die Wirtschaft
deshalb nicht mit China konkurrierte, das jährliche Wachstum sogar
bei 13,4 Prozent. Viele chinesische Unternehmen wurden in der Anfangszeit
der industriellen Entwicklung von den infrastrukturell erschlossenen Industriegebieten
mit Telegraphen, Telefonen, Zeitungen, Dampfschiffen und Eisenbahnlinien
angezogen. Das Kapital, von ausländischen Banken zur Verfügung
gestellt, lag in den chinesischen Banken bereit. Es waren genug Facharbeitskräfte
und Manager vorhanden.
V.III Die wirtschaftliche
Grundlage Pekings: Das kleine Geschäft
1917 bildeten immer noch die Läden, Marktstände
und kleinen Geschäfte die wirtschaftliche Grundlage Pekings. 1917
gab es 25.395 Geschäfte. 87.721 Personen arbeiteten 1917 insgesamt
in der Wirtschaft, die meisten von ihnen in diesen Läden. Diese befanden
sich unter der strengen Kontrolle der Polizei. Wollte jemand einen Laden
eröffnen, so hatte er bei der Polizei die Erlaubnis dafür einzuholen.
Als erstes verlangte diese eine Garantie eines anderen Geschäftes
des selben Business‘. Außerdem wurden abhängig vom investierten
Kapital Steuern erhoben. Auch später wurden monatlich von der Polizei
Steuern eingetrieben. Diese richteten sich nach dem Umsatz des Ladens.
Konnte ein Geschäft nachweisen, daß es keinen Umsatz hatte,
wurden keine Steuern von ihm eingezogen. Die Polizei durfte zu dieser
Feststellung die Geschäftsbücher der Läden einsehen. Ein
jährlich notwendiges Geschäftszertifikat, das $1 kostete, mußte
aber unabhängig davon bezahlt werden.
V.IV Die Arbeitszeit
und Feiertage
Die Arbeitszeit betrug in ganz China allgemein 7 Tage
in der Woche. Die Verkäufer in den Geschäften mußten täglich
12-14 Stunden arbeiten. Die Hersteller von Waren arbeiteten um die 10
Stunden pro Tag.
Es gab grundsätzlich drei freie Tage im Jahr: den 5. Tag des 5. Mondes
(das Drachenfest), den 15. Tag des 8. Mondes (das Fest der entweichenden
Geister) und den Neujahrstag. Einige wenige Gilden boten ihren Mitgliedern
noch zwei weitere Tage im Monat. Arbeiter, die die Zugehörigkeit
zur christlichen Kirche nachwiesen, konnten auch sonntags freinehmen.
V.V Die wirtschaftlich
und gesellschaftlich wichtigen Märkte
Märkte waren ein sehr wichtiger und großer
Faktor im Wirtschaftsleben der Stadt. Es gab die großen Nahrungsmittelmärkte,
die Morgenmärkte, die in aller Frühe stattfanden und die Abendmärkte,
die an den Straßenrändern auf dem Boden Waren aller Art im
Angebot hatten. Das waren sehr große Märkte, die sich oft über
mehrere Straßen erstreckten. Dort wurde alles angeboten, was man
sich denken konnte: Süßigkeiten, Kinderspielzeug, Blumen, Vögel,
Nutztiere, Möbel und zahlreiche Gegenstände des täglichen
Bedarfs.
Ein großes Ereignis waren auch die Tempelmärkte, auf denen
buntes Treiben herrschte. Jeder Tempel in der Stadt hatte einige spezielle
Tage im Monat, an denen um ihn herum ein Markt organisiert war. Da es
in Peking so viele Tempel gab, war fast jeden Tag irgendwo in der Stadt
ein solcher Markt. Diese Märkte boten Erholung für alle gesellschaftlichen
Schichten und waren gleichzeitig ein Treffpunkt für diese. Hier sah
man Jung und Alt, Reich und Arm nebeneinander. Tausende wurden von Akrobatik,
Boxen und Geschichtenerzählungen angelockt.
V.VI Steuern
Die Steuern für kleinere Läden betrugen einen
halben oder zwei Drittel Prozent vom Umsatz, je nach Business. Geschäfte
wurden in 14 Klassen eingeteilt, deren Steuerlast zwischen 10 Cent und
20 Dollar monatlich lag. Durchschnittlich wurden in Peking 1917 1,25 Dollar
an Steuern pro Geschäft eingenommen.
Von den Bordellen und den Prostituierten ganz Pekings wurde monatlich
insgesamt eine Summe von 11.000 Dollar an Steuern eingetrieben. Auch bei
den Bordellen gab es mehrere Klassen. Die Steuern konnten $3, $6, $14
oder $24 im Monat betragen. Prostituierte bezahlten zwischen einem halben
und 4 Dollar monatlich.
Ebenfalls 11.000 Dollar an Steuern pro Monat zog die Polizei für
Fahrzeuge ein. Autos kosteten $4 pro Monat. Wagen $2, Rikschas weit weniger.
Häuser und Land kosteten keine Steuern. Aber auf den Verkauf der
unbeweglichen Güter wurden Steuern erhoben.
Trotz der vielfältigen Steuern konnten die Ausgaben der Stadtregierung
(im ersten Halbjahr 1914 in geschätzter Höhe von $104.650) nicht
eingetrieben werden. Das Defizit wurde regelmäßig vom Innenministerium
ausgeglichen.
VI. Polizei
VI.I Kosten und Personal
Pekings Ruf in der damaligen Zeit war, die am besten
polizeilich geschützte Stadt des Orients zu sein.
Die jährlichen Kosten der Polizei in Peking betrugen 2,25 Millionen
Dollar. In der Stadt gab es 8.590 Polizisten, 10.000 Polizeihelfer und
noch viele Verkehrspolizisten. Sie wurden verwaltet von der Polizeibehörde.
Diese war geteilt in zwei Abteilungen, der Inneren Abteilung und der Äußeren
Abteilung. Die Innere Abteilung übernahm die Gesamtorganisation,
die politischen Angelegenheiten, Überwachung der Gefängnisse,
Hygiene, Streifendienste und Feuerwehr. Die Äußere Abteilung
war für die aktuelle Arbeit in der Stadt verantwortlich und noch
in drei weitere Unterabteilungen eingeteilt.
Insgesamt kamen auf 1.000 Einwohner durchschnittlich zwölf Polizisten.
Je nach Stadtbezirk variierte die Zahl zwischen 4 und 19 pro 1.000 Einwohner.
Das machte im Endeffekt durchschnittlich 153 Polizisten pro Quadratkilometer.
Zusätzlich zu den regulären Polizeikräften existierte eine
unabhängige Spezialtruppe. Die 1.127 Beamten dieser Schutztruppe
zeichneten sich durch ihre bessere Ausbildung und ihr etwas höheres
Alter aus. Diese Truppe wurde auch außerhalb Pekings eingesetzt.
Zu den Aufgaben der Polizei gehörte auch der Brandschutz. So gab
es in der Stadt 578 Feuerwehrmänner und mehrere Feuerwachtürme.
Im gesamten Jahr 1917 brachen 93 Feuer aus. Sie richteten nur sehr geringe
Schäden an, da die meisten Häuser in Peking aus Lehm gebaut
waren.
Mit allen diesen Aufgaben und den zusätzlichen zwei Hospitälern
der Polizei entstanden jährlich immense Kosten, die größtenteils
die Regierung trug.
VI.II Kriminalität
In der Kriminalitätsstatistik tauchten 1917 3.886
Festnahmen mit Gefängnisverwahrung auf. 22.870 kleinere Vergehen
wurden festgestellt und bestraft. Damit bestätigte sich wiederum
der ständige Anstieg von Straftaten in den vorhergegangenen Jahren.
Die Polizei führte eine genaue Statistik über die Vergehen.
12,8 Prozent, das heißt, 2.925 Delikte, wurden von Frauen begangen.
Von den 2.925 Delikten handelte es sich bei 1.133 um Verstöße
gegen die öffentliche Ordnung. Bei den Männern waren das 7.403
(37%). Als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung galten heimliche
Prostitution, unmoralisches Spielen, Beschmutzung von Tempeln und Grabsteinen,
sich lustig machen über andere Leute und das Tragen unpassender Kleidung.
3.050 Vergehen wurden von unter 11jährigen begangen. Diese Kinder
wurden erst einmal für kurze Zeit eingesperrt, dann kamen sie vor
ein Gericht. Waren sie schuldig, wurden sie aber nicht bestraft, nur die
Eltern wurden verwarnt. Wenn sich innerhalb von sechs Monaten eine solche
Tat wiederholte, wurde die Strafe für dieses zweite Vergehen auf
die Eltern vollstreckt. Hinzu kam dann aber auch die vorher ausgesetzte
Strafe für das erste Vergehen. [Ausgeschlossen wurde bei den Strafen
aber eine Gefängnisstrafe, weil dann die Erziehung der Kinder nicht
mehr hätte gewährleistet werden können.]
Bei Diebesgut hatte die Polizei eine hohe Wiederfindungsquote. Der Erfolg
war besonders groß, weil auf bestimmten Märkten in der Stadt
und in bestimmten Geschäften immer wieder diese Waren auftauchten.
So ließen sich viele Gegenstände wiederfinden und die Diebe
ausfindig machen.
Streitigkeiten unter den Pekingern wurden von der Polizei immer unter
der Vermeidung von Festnahmen geschlichtet. Wenn beispielsweise jemand
zu betrunken war, um nach Hause zu gelangen, brachte die Polizei ihn selbst
nach Hause. Auf diese Weise wurde 1917 5.267 Personen geholfen. 1.561
von ihnen hatten sich gestritten, 466 waren verlorene Kinder, 574 waren
Opfer von Unfällen, 212 waren betrunken und 150 vergiftet gewesen.
Außerdem wurden 84 versuchte Selbstmorde verhindert.
VI.III Andere Aufgaben
der Polizei
Die Polizei sorgte nicht nur für die öffentliche
Ordnung. Sie zählte auch die Geburten, Tode, Umzüge und Heiraten.
Außerdem wurde jedes Geschäft alle zehn Tage besucht, um Steuern
einzutreiben. Manche Polizisten reinigten auf Bezahlung der Anwohner sogar
Straßen.
Außerdem gab es bei der Polizei eine Gesundheitsabteilung. Sie sorgte
offiziell für die Straßenreinigung und die Abwasserentsorgung.
Von ihr wurden auch Doktoren lizenziert und die angebotene Medizin kontrolliert.
Durch alle diese Tätigkeitsfelder hatte die Polizei von Peking einen
engen Kontakt zu den Menschen in der Stadt. Sie berührte alle Lebensbereiche.
VI.IV Gefängnisse
Für 1917 wies die Polizeistatistik in Peking 4 Gefängnisse
mit 2.127 Gefangenen auf. Die Gefängnisse waren sauber, sehr gut
belüftet und beleuchtet und in gut erhaltenen Gebäuden untergebracht.
Die Betten und die Sachen der Gefangenen waren gepflegt. Ihnen wurde sportliches,
geistiges und moralisches Training angeboten. Auch für die Resozialisierung
nach der Entlassung war gut gesorgt.
Alte Gefängnisse sahen anders aus. Es gab keine Arbeit, keine Sanitäreinrichtungen
und die Lebensbedingungen waren schlecht. Dennoch waren diese Gefängnisse
immer noch besser als zu früheren Zeiten.
VII. Regierung und
Militär
Mit seiner tausendjährigen Geschichte als Hauptstadt
des chinesischen Reiches hatte Peking eine starke Bindung zur Regierung.
Deshalb war es Zentrum der politischen Gewalt und der Bildung und damit
Anlaufpunkt der Menschen aus den entferntesten Provinzen. Die meisten
kamen in der Hoffnung auf einen sicheren Beamtenjob. Doch nur die wenigsten
schafften es, weil den vielen Bewerbern nur sehr wenige Stellen gegenüberstanden.
Es gab die Nationalversammlung mit dem Repräsentantenhaus und dem
Senat, außerdem einige Beamtenstellen im Kabinett des Präsidenten
und in den Behörden.
In Peking gab es auch noch Beamtenstellen im Gemeinderat. Er war in vier
Departements eingeteilt. Der Innenminister des Landes war Präsident
dieses Rates. Wegen seiner wichtigeren Tätigkeit als Innenminister
jedoch mußte er gewöhnlich alles delegieren. So war der Vizepräsident
des Gemeinderates der, der die Arbeit machte. Dieser wurde vom Präsidenten
Chinas in Absprache mit dem Innenminister und mit der Zustimmung des Wirtschaftsministeriums
ernannt. Veränderungen in Gesetzestexten oder über Steuern wurde
nicht vom Volk, sondern von Beamten bestimmt.
Die Nordstadt Pekings stand 1917 unter der Kontrolle des Militärs.
Es hatte das Recht, Menschen gefangen zu nehmen, festzuhalten und unter
Arrest zu stellen. Dieses Recht hatten die Soldaten vormals auch in der
Südstadt gehabt, aber inzwischen war die Polizei dafür verantwortlich.
So beschränkten sich die Aufgaben des Militärs mehr auf die
Stadttore. Sie wurden bewacht, um zu verhindern, daß Opium, Morphium
oder Kokain in die Stadt gelangte. Alle illegalen Waren wurden beschlagnahmt.
[Eine Ausnahme bestand für hohe Beamte, die entweder gar nicht erst
durchsucht wurden oder aber nicht belangt wurden für die Mitnahme
und Einfuhr verbotener Waren in die Stadt.] Später wurde dann die
beschlagnahmte Ware zerstört. So wurden beispielsweise im Oktober
1919 7.000 Unzen (200 kg) Opium im Werte von $50.000 verbrannt.
Um die Stadt herum hatte das Militär weitere Truppen stationiert,
die im Falle von Unruhen herangezogen werden konnten, wie beispielsweise
bei den Studentenrevolten von 1919, wo das Militär der Polizei bei
Festnahmen half und für Arreste sorgte.
Die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Militär und Gendarmerie war
gut organisiert. Dennoch herrschte eine gewisse Rivalität zwischen
der Polizei und dem Militär, das einst die ganze Stadt unter seiner
Kontrolle gehabt hatte.
VIII. Erholung
Die alten Amüsements Pekings waren auch in den frühen
Jahren der Republik noch vorhanden. Theaterbesuche, Geschichtenerzählern
zuhören, chinesische Pferderennen besuchen, Sängerinnen lauschen
und Entertainern zuschauen gehörten zu den beliebtesten Beschäftigungen
der Pekinger. Leider hatten sich viele Beschäftigungen inzwischen
stark kommerzialisiert und konzentrierten sich auffallend nah bei den
Rotlichtvierteln der Stadt. Außerdem stellten die weit verbreiteten
Glücksspiele ein großes Problem dar. Auch die traditionellen
unzähligen Karten- und Brettspiele der Pekinger wurden zu Glücksspielen
umfunktioniert.
VIII.I Theater –
die beliebteste Erholungsmöglichkeit
Die beliebteste Erholungsmöglichkeit bestand allerdings
immer noch darin, ins Theater zu gehen. Das „jingxi“, die
aus der Hauptstadt stammende Pekingoper, galt und gilt heute noch als
das traditionelle chinesische Theater. Im Theater spielten Gesang und
Tanz verbunden mit Rede, Handlung und Kampfszenen eine wichtige Rolle.
Das hielt man für den Ursprung jeglichen dramatischen Ausdrucks in
China.
Die dreißig Theater der Stadt hatten je zwischen 700 und 1.000 Plätze
und verzeichneten Besucherzahlen von bis zu 1.000 pro Abend. Die billigste
Karte kostete um die 15 Cent, Erste-Klasse-Karten in einer extra Loge
waren sehr teuer. Für sie mußte man $2,90 und teilweise sogar
bis zu $8 ausgeben.
Die Ausbildung zum Schauspieler dauerte sieben Jahre. Nach fünf Jahren
bekam man sein erstes Gehalt. Die Schauspieler bekamen zwischen 5 und
10 Dollar am Tag, manche noch weniger. Einige berühmte brachten es
auf stattliche $100 pro Tag oder mehr.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es neben dem reinen Männertheater
auch ein ausschließlich von Frauen gespieltes Theater. Doch die
Schauspielerinnen genossen oft ein solch geringes Ansehen wie gewöhnliche
Sing- und Freudenmädchen. Oft waren sie es sogar. Frauenrollen wurden
im Männertheater grundsätzlich auch von Männern gespielt.
[Auch junge Frauen wurden von Männern dargestellt. Frauen darzustellen
war eine Kunst für sich und so gelangten einige Frauendarsteller
zu großer Berühmtheit.]
Die Theater wurden von der Polizei lizenziert und zahlten hohe Steuern,
die sie aber aufgrund der hohen Resonanz in der Bevölkerung gut verkraften
konnten.
Einzelne Formen der Unterhaltung bekamen Einfluß aus dem Westen.
So konnte man in manchen der 30 Theater Pekings schlechte Kopien westlicher
Theaterstücke sehen. Aber vor allem die alten Stücke begeisterten
täglich Tausende.
VIII.II Geschichtenerzähler
Eine zweite traditionelle Form der Unterhaltung waren
die „Geschichtenerzähler“. Sie gehörten zu einer
der ältesten Traditionen Pekings. Man traf sie auf großen Plätzen,
auf den Tempelmärkten und auch in Teehäusern, wo sie gegen eine
Gebühr an den Besitzer eine breite Zuhörerschaft fanden. Die
Geschichtenerzähler wurden von der Regierung oft unterstützt,
damit sie das Volk aufklärten und ihre Geschichten in der „richtigen
Perspektive“ erzählten. Sie waren ein wichtiger Bestandteil
auch der Bildung des Volkes. Die Taktik der Geschichtenerzähler war
folgende: Wenn sie in einer Geschichte an der spannendsten Stelle angelangt
waren, hörten sie auf und weigerten sich hartnäckig, weiterzuerzählen.
Erst gegen eine Gebühr, die jeder Zuhörer entrichten sollte,
fuhren sie mit ihrer Geschichte fort. So bewegten sich die Einnahmen zwischen
$2 und $4 je Tag. Berühmte Geschichtenerzähler, wie zum Beispiel
der in ganz Peking bekannte Shuang Han Ping nahmen je Tag sogar über
$7 ein.
VIII.III Pferderennen
Die chinesischen Pferderennen waren auch eine beliebte
Unterhaltung, der sich traditionsgemäß viele hingaben. Es gab
Strecken außerhalb der Stadt. Die Pferde mit den bunten Reitern
galoppierten aber nicht etwa um die Wette. Sie starteten nicht einmal
gemeinsam. Jeder Reiter ritt allein und sicherte sich den Applaus der
Menge, wenn er schnell die Strecke durchritt und dabei das Publikum erfreute,
bekam aber Buh-Rufe, wenn dem nicht so war.
Von Ausländern nach westlichem Prinzip organisierte Pferderennen
gab es auch. Die Chinesen begeisterten sich aber mehr für ihre eigenen
Regeln.
VIII.IV Badehäuser
und Kinos
Vögel fliegen zu lassen, gehörte zu einer verbreiteten
Erholungsmöglichkeit bei den Älteren. Sie ließen ihre
Vögel, teilweise sogar unangebunden, in den Parks fliegen. Das bloße
Zuschauen erfreute sie schon.
Ein beliebter Treffpunkt waren die Badehäuser. Sie galten als Erholungsstätte
genauso wie als sozialer Begegnungsort. Männer, die etwas wichtiges
zu besprechen hatten, gingen oft in ein Badehaus, um nach einem Bad mit
anderen aktuelle Probleme zu diskutieren. Für $1-$2 badete man „First
Class“ mit einem extra beheizten Baderaum, eigenem Ruheraum, Couch
und Telefon. Für Frauen gab es nur ein einziges Badehaus in Peking.
Peking verfügte inzwischen auch über moderne Unterhaltungszentren,
in denen man Billard und Pool spielen konnte. Auch die „bewegten
Bilder“ (das Kino) kannte man inzwischen. Das erste Kino öffnete
1912 seine Pforten. 1918 gab es schon sechs Kinos mit rund 3.000 Besuchern
pro Nacht.
VIII.V Plätze und
Parks
In Peking gab es und gibt es heute noch viele wunderschöne
Plätze und Parks. Gleich nördlich der Verbotenen Stadt lag „Jingshan
Gongyuan“, ein Park mit einer einmaligen Aussicht auf die Dächer
der Verbotenen Stadt. [Jingshan bedeutet soviel wie Kohlehügel. Dieser
war ein künstlich angelegter Hügel, der aus der Erde bestand,
die beim Ausheben der Wassergräben für den Palast angefallen
war.] Nordwestlich der Verbotenen Stadt lag „Beihai Gongyuan“,
begrenzt von vier Toren. [Beihai – bedeutete Nördliche See.
Der Park bestand zur Hälfte aus einem See.] Dieser Park mit seinen
68 Hektar Fläche existierte schon seit dem 12. Jahrhundert. Er gehörte
zu den erholsamsten Plätzen Pekings und hatte den Kaisern seit jeher
als Erholungsfläche gedient. Weitere Parks waren der „Tiantan
Gongyuan“ [= Himmelstempel, der Park gilt als die Perfektion der
Ming-Architektur.], ein Symbol von Peking, der „Ditan Gongyuan“
[Tempel der Erde, hatte in früheren Zeiten als Opferstätte für
den „Erdgott“ gedient.] und „Ritan Gongyuan“ [Tempel
der Sonne, war vormals Opferstätte für den „Sonnengott“
gewesen.], beide 1530 erbaut und viele mehr. Viele dieser Parks waren
den „gewöhnlichen“ Einwohnern Pekings verwehrt gewesen.
Sie wurden von der Regierung den Menschen zwar wieder zugänglich
gemacht. Allerdings kostete das Eintritt. Deshalb blieben die wunderschönen
Parks Pekings einigen doch verwehrt, vor allem jenen, die die Erholung
wirklich gebraucht hätten.
Zwei moderne wie hochkommerzielle Unternehmen waren der Vergnügungspark
„New World“ und „South City Amusement Park“. Doch
auch sie boten nur den besser betuchten einen Zutritt.
Wirklich nicht kommerziell waren einige moderne Sportarten wie Baseball,
Volleyball, Fußball und Tennis. Man kannte sie in Peking noch nicht
lange, aber sie waren nur für Studenten interessant. Ältere
verstanden diese Spiele nicht und begeisterten sich für diese neuen
Sportarten nicht.
IX. Religionsarbeit
Für die Alten Religionen Konfuzianismus, Buddhismus,
Lamaismus und Mohammedismus war Peking seit jeher ein wichtiges Zentrum
gewesen. So war es auch noch 1918. Deshalb bildete Peking auch das Zentrum
der katholischen, griechisch-orthodoxen und protestantischen Missionen.
936 Schreine und Tempel standen in Peking. Weiterhin 20 mohammedanische
Moscheen, die den 25.000 Mohammedanern in Peking die Ausübung des
Islams erlaubten.
Die älteste christliche Mission wird zurück auf das Jahr 1293
datiert. Es war eine römisch-katholische. 1685 hatte die russisch-orthodoxe
Mission ihre Arbeit aufgenommen. Seit 1861 gab es die protestantische
Mission mit 22 Kirchen und 5.000 Kapellen. Bis 1920 waren in Peking 5
katholische Kirchen mit 9.744 Anhängern entstanden.
Die Missionen trugen auch zur Bildung bei. In ihren 110 kirchlichen Schulen
lernten 7.644 Studenten.
X. Das soziale Übel – Armut
und Menschenliebe
X.I Die Probleme der
Einschätzung der sozialen Situation
Aus westlicher Sicht war die soziale Not in Peking schwer
zu beurteilen und zu deuten. Die soziale Situation war unvergleichbar
mit der westlicher Städte. Hauptunterschiede und Evaluationsschwierigkeiten
ergaben sich aus den nun folgenden Punkten. Ein Vergleich mit westlichen
Maßstäben war durch sie nur schwer zu ziehen:
Frauen hatten eine niedrige Stellung. Ihr Kontakt zu Männern fand
nur innerhalb der Familie und nach der Heirat statt. [Zwei Ehepartner
kannten sich vor der Hochzeit meistens nicht. Eine Heirat wurde nicht
als Verbindung zweier Menschen sondern als Verbindung zweier Familien
verstanden.]
Es gab keine soziale Absicherung. Der Lebensstandard in China lag weit
unter westlichen Standards.
Die Organisation des offiziellen Lebens gestaltete sich absolut different
verglichen mit westlichen Städten.
68,7 Prozent der Bevölkerung war männlich und lebte nicht in
der Familie, sondern allein.
Es gab keine Slums; Arm und Reich lebten nebeneinander.
Mädchenverkauf an Bordelle oder als Konkubinen war gang und gäbe.
X.II Prostitution
Die seit Jahrhunderten verbreitete Prostitution in Peking
hing mit der schlimmen sozialen Lage vieler Menschen zusammen. Frauen
konnten nirgends für Geld arbeiten, außer in den Haushalten
anderer Familien. So blieb vielen nur das eine. Viele Frauen in den Bordellen
lebten dort schon seit ihrer Kindheit. Sie waren von ihren Eltern dorthin
verkauft worden, weil diese sich „Töchter“ nicht leisten
konnten. [für ein 6-7jähriges Mädchen bekam man bis zu
$200, aber viele Mädchen wurden auch für sehr viel weniger Geld
verkauft.]
In der Stadt gab es 1917 377 Bordelle und 3.130 registrierte Prostituierte.
Die Zahl war seit der Gründung der Republik stark angestiegen. Über
die Gründe war man sich nicht ganz einig. Es galt aber als sicher,
daß der Einfluß aus dem Westen daran Mitschuld hatte. [Auch
der plötzliche Bruch mit dem alten System (der Bildung, Regierung
und sozialen Umstände) galt als ein Grund.]
Die Prostituierten wurden in vier Klassen oder Grade eingeteilt, von „jung,
hübsch, trainiert“ bis hin zu „alt, grob und rauh“.
Nach dieser Einteilung richteten sich auch die zu zahlenden Steuern. Viele
Prostituierte höheren Grades hofften auf die Aufmerksamkeit hoher
Beamter, die sie in eine höhere Schicht hätten heben können.
Geschlechtskrankheiten waren Nebenprodukte des gesellschaftlichen Lebens
Pekings. Sie traten vor allem in den gebildeten, höheren Klassen
auf, wo sich die Männer mehrere Frauen leisten konnten.
X.III Armut
Armut bildete das größte Problem in Peking.
Eine fünfköpfige Familie konnte mit 100 Silberdollar im Jahr
überleben. Von diesem Geld gingen bis zu 90 Prozent für Nahrung
drauf. Menschen gingen sogar bis zu fünf Kilometer täglich,
um beim Kauf einer Mahlzeit einen halben Copper ($0,004) zu sparen. $5
bis $12 hatte eine Familie jährlich für die Miete auszugeben,
selbst die besten Häuser kosteten nicht mehr als $15 im Jahr. Für
Öl zum Heizen, um nicht zu erfrieren, zahlte eine Familie um die
$6 pro Jahr. Das waren zwischen sechs und sieben Prozent des jährlichen
Einkommens. Zwischen 3,4 und 8,5 Prozent des jährlichen Einkommens
kosteten je nach Einkommensgruppe die Anziehsachen, die eine fünfköpfige
Familie benötigte.
12 Prozent der Menschen Pekings waren arm und sehr arm, lebten also unterhalb
des Existenzminimums. Viele Familien hatten keine warmen Sachen für
den Winter. Sie hingen von der Hilfsbereitschaft privater Menschen und
der Regierung ab. Diese sorgte auch für Hilfe. So gab es 13 Zentren
in der Stadt, von Militär und Polizei eingerichtet, an denen es in
den kalten Monaten jeden Tag für alle, die kamen, Haferbrei gab.
Innerhalb weniger Monate verteilten die Beamten so 700.000 warme Essen,
jedes zu einem Preis von 1,2 Cents. Die Ursache der Armut wurde dadurch
aber nicht bekämpft. Die wenigen sozialen Hilfsstätten konnten
der Not nicht begegnen, nur Beispiele setzen.
„Bei einer Untersuchung einer großen Anzahl von Haushalten
kam heraus, daß eine fünfköpfige Familie abhängig
der lokalen Gegebenheiten vergleichbar komfortabel mit $100 pro Jahr leben
kann. [...] Das heißt, daß sie, wenn auch einfach und arm,
genug Essen hat, ein Haus besitzt, das sie wenigstens vor den Elementen
bewahren kann, daß sie wenigstens zwei vollständige Kleidungsgarnituren
besitzt, daß sie genug Öl hat [...] und daß sie wenigstens
$5 für andere Ausgaben, wie zum Beispiel Fleisch an Feiertagen und
ziemlich oft Tee übrig hat...“
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