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Ich musste vergessen haben, wie kalt Wasser sein kann,
als ich beschloss, meine Auslandssemester in Peking zu verbringen, ohne
ein Wort chinesisch zu sprechen. In nahezu allen anderen Städten
dieser Welt dürfte die Sprachbarriere niedriger sein, als hier in
Peking, denn hier spricht NIEMAND Englisch, und solche die Englisch sprechen,
trifft man nicht, weil sie einen gehobeneren Job haben, und diesem wahrscheinlich
gerade nachgehen.
Sogar im Hotel konnte ich mich so wenig verständigen, dass ich schon
bald resigniert die Visitenkarte von Mr. Wong zückte, der Dame am
Empfang gab und auf das Telefon deutete. Mr. Wong übersetzte und
verhalf mir nun doch noch zu meinem Zimmer.
Das Hotel, welches seine besten Jahre vor ca. 30 Jahren gehabt haben dürfte,
liegt am nord-östlichen Ende des dritten Rings. Die Stadt ist denkbar
einfach aufgebaut. Ähnlich wie in Manhatten gibt es nur gerade Straßen
von Norden nach Süden und von Westen nach Osten. Im Zentrum liegt
die Verbotene Stadt. Um sie herum führt der erste Ring, vergleichbar
mit einer Stadtautobahn.
Um den ersten Ring, im Abstand zwischen acht und 15 Kilometern folgen
der Zweite, Dritte und Vierte Ring, die Ringe fünf und sechs werden
gerade noch gebaut.
Peking ist angeblich etwas kleiner als Belgien (somit
etwas größer als Hessen), beherbergt um die zwölf Millionen
Menschen, hat etwas weniger als 1000 Buslinien, die täglich von mehr
als einer Millionen Menschen benutzt werden, und die Anzahl der Taxen
dürfte irgendwo dazwischen liegen.
Eines kann ich definitiv sagen: „Peking ist riesig
!!!“
Die BLCU, meine Uni für das nächste halbe Jahr,
hatte mir davon abgeraten, mich selbst um eine Wohnung zu kümmern,
deshalb hatte ich erst recht aus Deutschland einen freien Immobilienmakler
kontaktiert und ihm mitgeteilt, dass ich mir gerne am Freitag einige Wohnungen
anschauen würde.
Die Wohnungen im Uni-Viertel (hier sind etwa 20 Universitäten angesiedelt)
waren nach westlichen Maßstäben hässlich, dreckig und
teuer; für die meisten Chinesen hingegen dürften sie riesig,
komfortabel und unbezahlbar sein.
Ich entschied mich letztlich für eine Wohnung ziemlich
im Norden (würden die Ringe weiter gehen, wahrscheinlich zwischen
dem Achten und Neunten), nahe einer U-Bahnhaltestelle. So brauche ich
zwar morgens etwa eine dreiviertel Stunde, als Internatskind und Bewohner
des Campus Seilersee eine etwas ungewohnte Situation, dafür fühle
ich mich hier aber ausgesprochen wohl.
In der Regel laufe ich von meiner Wohnung zum Bahnhof,
doch wenn es regnet, oder wenn ich MAL spät dran bin, nehme ich eine
der zahlreichen Rikschas, die vor jeder der Wohnanlagen stehen. Wahrscheinlich
zahle ich den Fahrern zuviel, denn heute Mittag als ich eine Ritschka
vom Bahnhof zu meiner Wohnung nahm, musste ich dem Fahrer nicht einmal
sagen, wohin ich wollte und trotzdem hielten wir vor meiner Haustüre.
– Ich habe aber auch kein Interesse daran herauszufinden, wie viel
die Fahrt eigentlich kosten würde, denn es ist mir sowieso jedes
mal unangenehm, wie der Pasha hinter den abgemagerten Fahrer zu sitzen,
zu sehen, wie er sich mit seinem gesamten Körper in die Pedale schmeißen
muss, um das Gefährt in Bewegung zu versetzen, und ihm dann für
eine Strecke von ca. 2 km 30 EuroCent zu zahlen.
Ich weiß noch nicht ob es ein Phänomen von
Peking oder von China ist, hier wird überall gebaut ! Ich habe es
selten erlebt, dass sich das Gesicht einer Stadt in bestimmten Vierteln
so schnell ändern kann.
Da die gravierernsten Veränderungen in der Umgebung
des Botschaftsviertels und der Hotels, aber auch im Norden in der Nähe
des OlympiaParks stattfinden, gehe ich davon aus, dass sie zu den Vorbereitungen
der Olympischen Spiele zählen.
Es ist interessant zu sehen, wie der OlympiaPark entsteht
(die Produktionszeit dürfte vergleichbar sein mit der in Deutschland,
durch die geringe Produktivität jedoch nur durch die Verwendung der
dreifachen Menge an Personal.)
Bien, das bietet sich ja geradezu als Überleitung an.
Der Chinese an sich,...
...ist ausgesprochen Neugierig,
was häufig für Europäer ziemlich ungewohnt
ist und hin und wieder zu kleinen Komplikationen führt.
Ich wollte am Flughafen, direkt nach meiner ersten Ankunft
in Beijing, eine größere Summe Geld wechseln. Als ich gerade
am Schalter einer Wechselstube stehe und mein Geld auspacke, stellt sich
ein Chinese so nah neben mich, dass er schon den „gefühlten
Sicherheitsabstand“ unterschritten hatte und schaute mir über
die Schulter. Aus Angst, gleich bestohlen zu werden, steckte ich mein
Geld sofort wieder weg, drehte mich um und verlies den Wechselschalter
fluchtartig.
Bevor ich an die nächste Wechselstube herantrat,
beobachtete ich diese erst aus einiger Entfernung und konnte dabei zweierlei
lernen. Chinesen stellen sich nicht an und Chinesen sind neugierig.
Es ist auch keine Seltenheit, dass sich nach einem Verkehrsunfall
(der meistens sowieso nur ein kleiner Blechschaden ist), Dutzende von
Menschen in einem Kreis versammeln, über den Hergang, die Schuld
und anderes diskutieren. Das kann durchaus mal eine Stunde dauern. Mindestens
genauso häufig sieht man öffentliche Busse, die defekt liegengeblieben
sind. Auch hier schauen sämtliche Passagiere, dem Fahrer, beim Versuch
den Motor zu reparieren, zu. Dennoch liebe ich es mit dem Bus zu fahren,
neben dem Fahrer fährt in jedem Bus ein Schaffner mit, der Tickets
verkauft, Geschichten erzählt und der dafür sorgt, dass niemand
unter die Räder kommt. (Das meine ich so)
Busse sind das mit Abstand günstigste Verkehrsmittel und sie sind
deshalb eigentlich immer überfüllt.
Meine Erfahrungen mit der hiesigen Bevölkerung waren
bisher alle ausgesprochen positiv. Als auffällig empfand ich, dass
die Hilfsbereitschaft mit dem Wohlstand abnimmt und dass der Neid ein
Kind des Kapitalismus ist !
In diesem Land über Armut und Wohlstand zu sprechen
ist ziemlich schwer, denn man vergisst häufig und viel zu schnell,
dass China in weiten Teilen ein Drittweltland ist.
Meine schönsten und herzlichsten Momente die ich
bisher hier gemacht habe, entstanden mit Arbeitern und Händlern,
Bauarbeitern; mit dem analphabetischen Busschaffner, dem taubstummen Obsthändler
in meiner Straße oder auch dem Obdachlosen bei der U-Bahn, der meinen
Augen ablesen konnte, welche Information ich brauchte, was ich wollte.
Die schlimmsten Begegnungen hingegen hatte ich mit hohen
Beamten, mit meinem Vermieter und anderen Wohlhabenden (solche, die es
„gepackt“ haben, oder davon zumindest überzeugt sind).
Diese haben häufig eine ganz schlimme Arroganz an sich, die sich
selten gegen mich richtet, (dies habe ich aber schon erlebt), vielmehr
gegen die weniger Wohlhabenden, also gegen die richtet, mit denen ich
eine Gaudi hatte.
Der Kontrast zwischen Arm und Reich, zwischen Fortschritt
und Hinterweltlertum, zwischen Bildung und Unwissenheit ist unglaublich
gigantisch.
Um so weiter man sich von der Innenstadt entfernt umso
stärker scheinen Welten aufeinander zu prallen.
Und es sind nicht die Welten, Obdachloser Bettler vs.
Immobilienhai.
Es sind die Welten Beamter mit eigenem Fahrzeug, der
jeden Abend mit seiner Familie essen geht und „geräumig“
wohnt gegenüber dem Obsthändler, dessen ca. 10 qm großer
Laden zugleich seine Wohnung ist, dessen Bettgestell am Tag als Tisch
für die Präsentation seiner Waren dient und der immer geöffnet
hat, außer wenn er schläft.
Aber es ist auch der Kontrast bei den Preisen. Ich kann
auf der Straße ein üppiges Abendessen und eine Flasche Bier,
die hier 670ml enthält, kaufen und bezahle dafür etwa 20 RMB,
kaufe ich mir jedoch eine Tube Rasierschaum oder einen Kaffee bei Starbucks
zahle ich mindestens das doppelte.
Am Abend, wenn die Märkte und Restaurants geschlossen
sind, finden sich an den Straßenecken kleine Gruppen in kleinen
Straßenrestaurants zusammen. Überwiegend Männer, die einfach
nur ein wenig trinken, was essen, erzählen oder einfach nur die Nacht
genießen.
Gegenüber meiner Wohnsiedlung werden Abend für
Abend einige Tische und Stühle auf dem Bürgersteig aufgestellt,
davor steht Mann mit einem umgebauten Fahrrad, er hat auf seiner Lade
eine Art Dachrinne montiert, die an manchen Stellen zu glühen scheint,
eine Spiegelung der heißen Kohle in der Rinne. Darauf grillt er
kräftig gewürztes auf Holzspießen aufgezogenes Fleisch.
Das war der erste Teil meines Berichts, Informationen
zu meiner Uni gebe ich euch das nächste mal.
Ich weiß nichts und spreche trotzdem,
deshalb möchte ich mich zum Schluss von allem gesagten
wieder ein bisschen distanzieren, denn es gestaltet sich ausgesprochen
schwierig über ein Volk, ein Land und eine Stadt zu berichten, wenn
man nur Auszüge sieht und nur Fetzen hört. Ein Land, ein Volk
und eine Kultur kann man nicht objektiv betrachten, man sieht sie immer
durch die Brille seiner eigenen Herkunft.
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