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„Wie stark, wie heftig der nahende Sturm auch
wäre,
ich hieße ihn willkommen, würde er die Menschen aufrütteln
und auf eine neue Bewußtseinsebene heben;
er würde alles reinigen und erneuern, selbst mein eigenes Herz, meine
Seele, meinen Willen.“
Yue Daiyun im Frühling 1957
I. Inhalt des Buches
Es handelt sich um die Biographie einer Intellektuellen
in China, Yue Daiyun. Sie hat der Amerikanerin Carolyn Wakeman zwischen
1958 und 1979 einen Teil ihrer Lebensgeschichte erzählt.
Die Zeitspanne umfaßt „Die Hundert - Blumen – Bewegung“,
„Die Kampagne gegen Rechtsabweichler“ und „Den großen
Sprung nach vorn“.
Es ist die Geschichte der persönlichen Erfahrungen einer Chinesin,
ihrer Familie und eines ganzen Volkes in einer der schwierigsten und verwickeltsten
Zeiten Chinas.
II. „Die Hundert-Blumen-Bewegung“
1956/57 (geschichtlich)
Auslöser der Hundert-Blumen-Bewegung war Mao Tse-tungs
berühmter Spruch vom Frühjahr des Jahres 1956. Er suchte bei
den Intellektuellen Chinas stärkere und aufrichtige Unterstützung
und forderte sie auf, offen ihre Meinung zu sagen.
Die Intellektuellen Chinas begannen, wenn auch anfangs sehr zögerlich,
die Zustände zu kritisieren. Nach einiger Gewöhnungszeit wurden
die Kritiken immer offener und direkter. So leitete die Parteiführung
im November 1956 die Bewegung zur Berichtigung des Arbeitsstils in der
Partei ein. Die Weisung wurde am 27. April 1957 veröffentlicht. Sofort
setzte eine heftige, massive Reaktion der anti - intellektuellen Kräfte
ein. Dazu gehörten die langjährigen Guerillakämpfer vom
Land und die Kader der Partei. Anfang des Jahres warnten Angehörige
der Propaganda-Abteilung der Volksbefreiungsarmee öffentlich vor
„zu offenem Blühen“.
Diese Widersprüche im Volke legte dann Mao Tse-tung als Klassenkämpfe
aus, die es auszufechten galt. Er unterschied ganz deutlich zwischen Volk
und dem Feind, der sich der sozialistischen Revolution zu widersetzen
versuchte und sie zum Scheitern bringen wolle.
Quasi über Nacht wurde aus der „Bewegung der Berichtigung des
Arbeitsstils der Partei“ eine „Bewegung zur Berichtigung der
hervorgetretenen rechten Elemente in Bürgertum und Intelligenz“.
So begann die „Kampagne gegen Rechtsabweichler“.
IIII. Die
„Hundert-Blumen-Bewegung“ aus der Sicht Yue Daiyuns
Yue Daiyun wohnte zu Beginn der Hundert-Blumen-Bewegung
mit ihrem Mann Lao Tang und ihrer Tochter Tang Dan auf dem Universitätsgelände.
Lao Tang hatte eine angesehene Stelle. Sein Vater Tang Yongtong galt als
berühmter Philosophieprofessor und Buddhismus-Kenner. Er war in China
hoch angesehen und pflegte Kontakte in die höchsten politischen Kreise.
Dank dieser Zustände lebte die Intellektuellen-Familie sehr angenehm
und sorgenfrei.
Im Frühjahr, als sich die Bewegung ankündigte, hielt sich Yue
Daiyun sehr zurück. Wie andere Intellektuelle fürchtete sie
negative Folgen für sich und ihre Familie. Nach Maos Rede über
die Widersprüche im Volk begannen auf dem Uni-Gelände Versammlungen,
Plakate wurden geklebt. Lehrer und Studenten sollten ihre Meinungen in
Aufsätze fassen und ausdiskutieren. Yue Daiyun hielt sich zurück,
weil sie eine sehr vorsichtige und leicht ängstliche Frau war. Sie
stimmte jedoch einigen konstruktiven Aufsätzen zu, die der Zukunft
Chinas galten und die sie für sehr fortschrittlich und sachlich hielt.
Im April wurde sie dann aber doch von der Begeisterungswelle der Zuversicht
und des Optimismus erfaßt, als Mao Tse-tung die „Überwindungsbewegung“
zur Verbesserung des Arbeitsstils der Partei einführte. Die „drei
Übel“ – Subjektivismus, Sektierertum und Bürokratismus
sollten ausgemerzt werden.
Sie war erstaunt, wie zutiefst unzufrieden viele Menschen waren, die sich
jetzt trauten, lange Essays über wichtige Fragen des Parteiensystems,
der Partei selbst und anderer Kritikpunkte zu schreiben und mit Plakaten
immer mutigere Angriffe auf das System zu unternehmen.
Yue Daiyun mißbilligte die scharfen Angriffe, hielt aber die Möglichkeit
der Meinungsäußerung, wie sie früher nicht gegeben war
für die beste Methode zur Verwirklichung der Besserung.
Sie sagte: „Doch trotz meiner Sympathie für alle, die sich
frei äußerten, mahnte mich einer innere Stimme zur Vorsicht,
in den Chor kritischer Stimmen vernehmlich mit einzustimmen. Ich hielt
es für ratsam, erst einmal abzuwarten, was passieren würde,
bevor ich selbst öffentliche Kommentare abgab. Statt dessen wollte
ich auf andere Weise einen Beitrag leisten.“
Zusammen mit sieben jungen Lehrern und graduierten Studenten plante sie
also die Herausgabe einer Literaturzeitschrift: „Helden unserer
Zeit“. Obwohl inoffizielle Publikationen in China verboten waren,
sollte diese eine Alternative zur offiziellen „BeiDa – Zeitschrift“
sein. Die acht Redakteure glaubten, die derzeitige Offenheit erlaube ein
solches Projekt. Außerdem sollte es eine Mao-treue Zeitschrift werden.
Als sie sich für finanzielle Hilfe einsetzte, scheiterte sie jedoch.
Außer der Zustimmung zu dem Projekt erhielt sie von anderen Professoren
und potentiellen Geldgebern keine Hilfe. So blieb das Projekt liegen.
Am 8. Juni 1957 fand dann der plötzliche Kurswechsel in der Parteilinie
zur Befreiung des Landes von konterrevolutionären Kräften statt.
Das stimmte viele Intellektuelle, so auch Yue Daiyun bedenklich.
Yue Daiyun meinte dazu: „Anschläge erschienen zwar weiterhin,
aber nach dem 8. Juni vollkommen anderen Inhalts; eine neue Sprechergruppe
verkündete lauthals die neue politische Linie. In den folgenden Wochen
las ich beispielsweise, daß die Kritiker, die das Funktionärsprinzip
angriffen, und Wirklichkeit gegen die Partei opponierten, daß Menschen,
die zur Äußerung privater Meinungen ermutigten, in Wirklichkeit
den Sozialismus abzuschaffen wünschten, daß jeder, der die
feudalen Relikte in der Partei anprangerte, in Wirklichkeit den Vorsitzenden
Mao als Patriarchen schmähe und somit selbst ein Konterrevolutionär
sei. Dieser abrupte, totale Umschwung verwirrte und deprimierte mich.“
Die Parteimitglieder wurden aufgefordert, die treibenden Kräfte der
sogenannten „Konterrevolution“ ausfindig zu machen. Bis November
waren fünf Männer aus dem Lehrerkollektiv Yue Daiyuns als Rechtsabweichler
benannt worden. Auch sie selbst hatte mitgeholfen zu untersuchen, wer
ihrer Kollegen rechtsabweichlerische Ansichten geäußert hatte.
Vor einer Versammlung von Studenten und Lehrenden im Dezember wurde schließlich
selbst sie beschuldigt, mit ihrer geplanten Zeitschrift die kommunistische
Sache verraten, den Individualismus unterstützt und den sozialistischen
Kollektivgeist unterminiert zu haben.
Sie wurde am 24. Januar 1958 als Rechtsabweichlerin kritisiert und im
Februar als solche eingestuft. Das bedeutete die Aberkennung der Parteimitgliedschaft
und die Verurteilung zu körperlicher Arbeit auf dem Lande.
Im September 1958 geht sie aufs Land und muß ihren noch nicht einmal
ein Jahr alten Sohn und ihre fünf Jahre alte Tochter zurücklassen.
IV. Ausklang
„Als hundert Blumen blühen sollten“
ist eine sehr gründliche Darstellung der Bewegungen in China zwischen
1956 und 1979. Die Sorgen und Probleme, die Erfahrungen und Erlebnisse
Yue Daiyuns sind repräsentativ für viele Intellektuelle zu dieser
Zeit in China. Eindrucksvoll, aufrüttelnd und subjektiv stellt sie
die Ereignisse dar, die ihr an der Universität, auf dem Land und
in der Familie widerfuhren. Damit schreckt sie den Leser auf und vermittelt
ihm Eindrücke über das Leben in China vor vierzig bis zwanzig
Jahren.
Die Person Yue Daiyun selbst ist sehr zwiespältig. Sie verfolgt immer
die Ziele Maos und der Kommunistischen Partei und gerät trotzdem
in den Strudel der Rechtsabweichler und Konterrevolutionäre. Was
ihr und ihrer Familie passiert, ist für den Leser kaum vorstellbar.
Sie wird von ihren Kindern getrennt, von ihrem Mann, sie schafft es kaum,
ihre gestorbene Mutter zu begraben, wird von Verwandten beleidigt, von
Studenten und Parteikadern erniedrigt und zu niederen Arbeiten herangezogen,
verliert Teile ihrer Menschenrechte usw. Obwohl aus der Partei ausgestoßen,
bleibt sie ihr treu. Sie entwickelt Selbstzweifel, statt die Partei anzugreifen.
Das bleibt im ganzen Buch so. Yue Daiyun ist der Partei und Mao treu ergeben.
Trotzdem sie von der Partei und dem Volk in der Stadt, den Studenten und
Kollegen nicht mehr anerkannt wird, setzt sie sich gegen nichts zur Wehr.
Nicht einmal innerlich wagt sie es oder kommt auf den Gedanken zu opponieren.
Erst gegen Ende des Buches werden geringe Zweifel merkbar, die sie aber
nicht ausspricht, sondern sich nur in Ansätzen eingesteht.
Oft erschien es nicht verständlich, warum sie Fehler nicht bei anderen
suchte, sondern nur bei sich. Sie war fast blind vor Treue zur Partei
und dem Führer.
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